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Vorwort

Grundsätzliche Positionen der Autoren

Das Land der bröselnden Brücken

Die Infrastrukturkrise in Deutschland

Ursachen der Infrastrukturkrise

Lösungsansätze

Wenn der Förster den Admin macht

Die Digitalisierungskrise der deutschen Verwaltung

Kernprobleme der Verwaltungsdigitalisierung

Lösungsansätze

Die Baustelle Deutsche Bahn

Der Niedergang des Schienennetzes

Drastischer Rückbau des Netzes

Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) liefert die Zahlen, die die brutale Schrumpfkur bei der Bahn greifbar werden lassen: Die Deutsche Bahn hat seit der Bahnreform Mitte der 1990er-Jahre bis 2018 immerhin 5400 Kilometer und damit 16 Prozent ihrer Schienen stillgelegt, sodass ihr Schienennetz nur noch gut 33 000 Kilometer umfasst. Jeder verlorene Kilometer Schiene hängt Menschen und Unternehmen von der Bahn ab oder fehlt als Ausweichstrecke, wenn eine Hauptstrecke blockiert ist. Von 2018 bis 2021 seien nur 67 Kilometer Schiene neu in Betrieb genommen worden, bilanziert das NEE 2021. Zum Vergleich: »Der Zubau von Straßen beträgt deutschlandweit (…) jährlich rund 10 000 Kilometer.

Falsche Prioritäten und Fehlanreize

Ungleiche Wettbewerbsbedingungen mit dem Flugverkehr

Die Windkraft-Baustelle

Windkraftausbau als alternativlose Lösung

“Windenergie ist das Rückgrat der Energiewende. Ohne Windenergie geht nichts. Aber bei der Windenergie geht zu wenig.”

Die klimaneutrale Transformation der Energieversorgung

Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Dies erfordert einen massiven Umstieg auf erneuerbare Energien, vor allem auf Wind- und Solarenergie. Das Klimaziel für 2030 sieht vor, dass mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen sollen.

Die Bedeutung des Stroms als zentrale Energiequelle wird deutlich betont:

“Strom ist so wichtig, weil er in einer nachhaltigen Welt der zentrale Energieträger sein wird. Vieles, was bislang durch Öl und Gas befeuert wird, muss auf elektrische Energie umgestellt werden: Autos und Heizungen ebenso wie die Herstellung von Stahl und Zement.”

Aktuelle Lage und Herausforderungen

Aktuell stammt erst knapp die Hälfte des deutschen Stroms aus erneuerbaren Quellen - ein Ergebnis, für das 20 Jahre gebraucht wurden. Die Autoren betonen die Dringlichkeit des Ausbaus:

“Dafür müssten im Schnitt jeden Tag 5,8 neue Windräder aufgestellt werden. Die Merkel-Regierungen haben den Ausbau der Windenergie schlicht abgewürgt, weil er angeblich zu teuer war. Deswegen müssen wir jetzt schneller ausbauen als je zuvor. Und zwar am besten seit gestern.”

Während der Solarausbau vergleichsweise gut läuft, hinkt die Windkraft hinterher. Statt der von Bundeskanzler Scholz geforderten vier bis fünf Windräder pro Tag werden aktuell nur etwa zwei täglich gebaut.

Verzögerungsfaktoren beim Windkraftausbau

Die Autoren identifizieren nach umfangreichen Recherchen und Gesprächen mit Beteiligten die Hauptgründe für den schleppenden Ausbau:

“Die bottom line: Der Gesetzgeber und die Verwaltungen haben es viel zu kompliziert gemacht, ein Windrad zu bauen. Oder ausführlicher: Der Ausbau der Windkraft in Deutschland geht nicht schnell genug voran, weil die Anforderungen zu hoch und die Genehmigungsverfahren zu komplex sind.”

Langwierige Genehmigungsverfahren

Die Genehmigungsverfahren verzögern den Windkraftausbau dramatisch:

“Im Schnitt dauerte es nach Recherchen der Tagesschau 2022 sieben Jahre, bis ein Windrad stand und Strom lieferte.”

Diese langen Verfahrenszeiten entstehen durch komplexe Genehmigungsprozesse nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, bei denen eine Vielzahl von Rechtsfragen aus verschiedenen Bereichen geklärt werden müssen. Besonders leistungsstarke moderne Windkraftanlagen mit über 50 Metern Höhe benötigen umfangreiche Prüfungen.

Das Bürokratiemonster zähmen

Die Autoren beschreiben die vielfältigen Prüfungen, die ein Windkraftprojekt durchlaufen muss:

“Hier eine kleine Auswahl an Fragen, die zu erörtern sind: Macht die Anlage zu viel Lärm? Wirft sie unerlaubt viel Schatten? Hält sie genug Abstand zur nächsten Wohnbebauung? […] Außerdem Avifaunistik, also der Einfluss auf das Flugverhalten von Vögeln und Fledermäusen sowie der Artenschutz, also der Einfluss auf das Gedeihen von Flora und Fauna.”

Kompliziert wird es durch die Trennung des Baurechts in Bauordnungsrecht (Landesrecht) und Bauplanungsrecht (Bundesrecht). Auch die Raumplanung mit ihren langwierigen Verfahren stellt ein erhebliches Hindernis dar. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Brandenburg, wo jahrelang vier von fünf Regionen keinen gültigen Regionalplan hatten, was zu einem zweijährigen Genehmigungsstopp führte.

Besondere Barrieren für die Windkraft

Abstandsregeln als Hauptproblem

Die Autoren identifizieren die Abstandsregeln als besonders problematisch:

“Neben diesen bürokratischen Hürden bremst den Windkraftausbau vor allem die Abstandsregel. Die ist das weitaus größte Problem beim Bau neuer Windkraftanlagen.”

Besonders die bayerische 10H-Regel wird kritisiert:

“Das bedeutet: Windräder mussten einen Abstand vom Zehnfachen ihrer Höhe zum nächsten Wohngebäude haben. Bei einem Windrad von 200 Metern Höhe bedeutet das einen Mindestabstand von 2 Kilometern. Das hat dazu geführt, dass in Bayern lange so gut wie keine Windräder mehr gebaut wurden.”

NIMBY-Politik: Not In My Backyard

Die Autoren analysieren die psychologischen und politischen Hintergründe des Widerstands:

“Ja, wir brauchen viel mehr Windräder, die günstigen Strom produzieren. Das ist den meisten Menschen klar. Aber das ist ein bundesweites Ziel: Wir brauchen deutschlandweit und insgesamt Tausende Windräder. Das heißt jedoch nicht zugleich, dass Menschen die dringend benötigten Windkraftanlagen auch in der Nähe ihres Dorfs akzeptieren wollen.”

Diese Haltung führt zu einem klassischen “Trittbrettfahrerproblem”:

“Wenn alle zwar abstrakt für Windkraft sind, aber gegen Windräder vor Ort, werden kaum noch Anlagen gebaut. Und genau das erleben wir bisher.”

Artenschutz als Stolperstein

Die Autoren beschreiben anschaulich, wie aufwändig die Naturschutzprüfungen sind:

“Allein das Erstellen des Gutachtens für Avifaunistik kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Dafür stiefeln am geplanten Standort nämlich Expert:innen buchstäblich mit Fernglas und iPad mindestens ein halbes Jahr regelmäßig durch Wald und Wiesen.”

Sie kritisieren den übertriebenen Fokus auf den Schutz einzelner Tiere:

“Darum kann immer noch ein einzelner Schwarzstorch oder auch Herrn Müllers Käuzchen die Planung eines Windparks auf Jahre hinaus ausbremsen.”

Klagevereine und Verwaltungsverfahren als Bremse

Organisierte Klagevereine

Ein weiteres Hindernis sind organisierte Klagevereine:

“Interessanterweise kommen die meisten Klagen dabei nicht von besorgten Anwohner:innen aus der Umgebung, sondern von professionell organisierten Vereinen mit klarer politischer Agenda.”

Die Autoren nennen konkrete Beispiele wie den VLAB (Verein für Landschaftspflege, Artenschutz & Biodiversität e.V.), der trotz angeblicher Unterstützung der Energiewende den “maßlosen Windkraftausbau” kritisiert und hauptsächlich ästhetische Einwände gegen Windräder vorbringt.

Langsame Verwaltungsverfahren

Personalmangel und komplizierte Verwaltungsabläufe führen zu extremen Verzögerungen:

“In Hessen, mit durchschnittlich 34 Monaten vom Antrag bis zur Behördenentscheidung Schlusslicht beim Genehmigungstempo, waren es zuletzt fast 300” Anträge in der Warteschleife.

“Neben dem Personalmangel sind es die extrem komplizierten, störungsanfälligen und arbeitsintensiven Abläufe, mit denen die zuständigen Sachbearbeiter:innen andere mitwirkende Behörden zur Mitarbeit bewegen müssen und dabei oft scheitern.”

Lösungsansätze für den beschleunigten Ausbau

Wind-an-Land-Gesetz: Hoffnungsschimmer

Die Autoren sehen im neuen Wind-an-Land-Gesetz einen wichtigen Fortschritt:

“Die Ampel hat nun einen Kompromiss als Gesetz verabschiedet: Die Länder müssen im Schnitt zwei Prozent ihrer Landflächen der Windkraft widmen. Tun sie das nicht rechtzeitig, werden die Mindestabstände abgeschafft.”

Kritisch sehen sie jedoch den Zeitplan:

“Der Haken: Um die zwei Prozent bereitzustellen, haben die Länder Zeit bis Ende 2032, erste Zwischenziele sind bis Ende 2027 zu erreichen. Das ist viel zu lange, sagen Kritiker.”

Dennoch zeigt sich bereits Bewegung: Nach einer Umfrage des Spiegel wollte im März 2023 jedes zweite Bundesland die Flächenziele früher erreichen.

Genehmigungsfiktionen: Schweigen sollte Ja bedeuten

Die Autoren schlagen vor, die “Genehmigungsfiktion” auf die Windkraftgenehmigung anzuwenden:

“Das bedeutet: Wenn eine angefragte Stelle nicht in einem angemessenen Zeitraum von beispielsweise drei Monaten antwortet, gilt ihr Schweigen als Zustimmung.”

Dies würde behördliche Verschleppungstaktiken erschweren:

“Dann wären Behörden gezwungen, wichtige Fälle vorzuziehen, anstatt sie einfach auszusitzen. Debatten würde es nur noch geben, wo es wirklich etwas zu debattieren gibt.”

Gestärkte Bürgerbeteiligung und finanzielle Teilhabe

Die Autoren erläutern, dass der Stadt-Land-Konflikt ein wichtiger Faktor beim Windkraft-Widerstand ist:

“Auf dem Land bringen Windkraftgegner:innen die Bevölkerung mit dem Argument gegen Windräder auf, der Horizont werde vor allem »verspargelt«, damit Städter:innen ihre E-Autos laden können.”

Als Lösung wird die finanzielle Beteiligung der lokalen Bevölkerung vorgeschlagen:

“Die zentrale Frage in solchen Debatten sei: »Was bringt uns das?« Die überzeugendste Antwort in solchen Fällen: Ihr verdient mit. […] Nichts steigere die Akzeptanz so sehr, sagt Beraterin Anna Forke, wie eine Gewinnbeteiligung der Kommune.”

Als positives Beispiel wird der Hunsrück genannt:

“Im Dorf Neuerkirch etwa entstand mithilfe der Pachteinnahmen ein Sport- und Fitnesspark, und die Bürger:innen können sich kostenlos E-Autos sowie Lasten- und Elektroräder ausleihen.”

Wirtschaftliche Perspektiven und Fazit

Windkraft als Wirtschafsmotor

Die Autoren beschreiben weitere wirtschaftliche Vorteile für Windkraftregionen:

“Immer mehr Wirtschaftsbetriebe siedeln sich gezielt in Regionen an, wo sie durch nahe gelegene Windparks günstig grüne Energie bekommen. Vom Batteriehersteller Northvolt in Schleswig-Holstein bis zu den Chipgiganten Intel und TSMC – alle haben sich für ihre jeweiligen Standorte in Deutschland entschieden, weil dort ausreichend Ökostrom zu haben ist.”

Auch indirekte Vorteile werden genannt: verbesserte digitale Infrastruktur, lokale Wertschöpfung durch Wartungsarbeiten und mehr.

Auf dem Weg zum grünen Strom

Die Autoren bilanzieren die bisherigen Fortschritte und verbleibenden Herausforderungen:

“Die Geschichte des Windkraftausbaus in Deutschland ist eine Geschichte der verpassten Chancen und der stillen Blockaden. Die Ampel hat in ihrer ersten Halbzeit schon einige wichtige Bremsen gelöst und Weichen gestellt.”

“Den Windkraftausbau hat die Ampel eindeutig beschleunigt. Doch Tempo und Dynamik reichen noch nicht, um die ehrgeizigen Ausbauziele zu erreichen. Staatliche Stellen auf allen Ebenen müssen mitziehen.”

Sie fordern weitere rechtliche Vereinfachungen, besonders bei immissionsrechtlichen Verfahren und Beteiligungsfristen.

Ausblick

Das Kapitel schließt mit einem vorsichtig optimistischen Ausblick:

“Wenn alle mitmachen, kann es klappen, dass schon in wenigen Jahren praktisch nur noch grüner Strom aus der Steckdose kommt. Das wird zugleich der billigste Strom seit Jahrzehnten sein.”

Die Autoren betonen die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Konsens und erkennen die legitimen Bedenken der Anwohner an:

“Ein Windrad wirft wirklich Schatten, und es kann auch ziemlichen Lärm machen. Andererseits: Wenn wir es nicht schaffen, die Erhitzung der Erde zu bändigen, werden deren Folgen Menschen, Tieren und Pflanzen weit mehr schaden als jedes Windrad.”

Die ungleiche Vermögensverteilung

Das Demokratieversprechen und seine Gefährdung

Als nach dem Zweiten Weltkrieg eine demokratische Gesellschaft in Deutschland aufgebaut werden sollte, war ein zentrales Element das “Wohlstandsversprechen”:

“Dieses Versprechen, dass es allen wirtschaftlich gut gehen werde, ist seit der Gründung unseres Staates ein zentraler Faktor für die politische Stabilität der Bundesrepublik. An dieses Wohlstandsversprechen glauben heute allerdings immer weniger Menschen in Deutschland – und zugleich entwickeln immer mehr Bürger:innen Zweifel an der Demokratie an sich.”

Die Autoren stellen einen Zusammenhang her zwischen wachsender sozialer Ungleichheit, dem schwindenden Vertrauen in das Wohlstandsversprechen und der Zunahme demokratiefeindlicher Tendenzen.

Deutschlands Reichtum und seine ungleiche Verteilung

Deutschland ist insgesamt ein sehr wohlhabendes Land. Die privaten Vermögen sind enorm:

“Zählt man alle bekannten privaten Geldvermögen in Deutschland zusammen, steht unterm Strich die gigantische Zahl von 7617 Milliarden Euro allein an Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapieren und Ansprüchen gegen Versicherungen und Pensionseinrichtungen.”

Mit Immobilien und abzüglich der Schulden ergibt sich ein durchschnittliches Privatvermögen von etwa 215.000 Euro pro Person oder 420.000 Euro pro Haushalt. Doch dieser Reichtum ist extrem ungleich verteilt:

“Die Schere sieht also eher aus wie der Schnabel eines Pelikans.”

In Deutschland haben einige wenige Menschen sehr viel, während viele andere kaum etwas besitzen. Nach Statistiken des DIW besaßen 2017 die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 56 Prozent des gesamten Privatvermögens, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen nur 1,3 Prozent des Gesamtvermögens besaß.

“Das heißt, zehn Prozent reiche Menschen hatten gemeinsam mehr als die übrigen 90 Prozent der Bevölkerung zusammen.”

Die Ungleichheit hat seitdem noch zugenommen. Neuere Studien zeigen, dass:

“Das allerreichste Prozent in Deutschland besitzt je nach Berechnung zwischen 27 und 35 Prozent des gesamten Privatvermögens.”

Der Gini-Koeffizient und die wachsende Ungleichheit

Der “Gini-Koeffizient” misst die Ungleichverteilung des Vermögens oder Einkommens. In Deutschland liegt er für das Vermögen bei 0,77 – weit über dem europäischen Durchschnitt. Auch der Gini-Koeffizient für das Einkommen ist gestiegen, von 28,3 im Jahr 2012 auf 30,9 im Jahr 2021.

Die Autoren betonen, dass nicht nur die Superreichen und die sehr Armen für die Stabilität einer Gesellschaft relevant sind, sondern vor allem die Mittelschicht:

“Dramatischer ist, dass die Polarisierung immer weiter in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht. Ob eine Gesellschaft stabil ist, hängt nämlich weder von den Superreichen noch von den Menschen ab, die extrem von Armut betroffen sind. […] Am wichtigsten für eine stabile Gesellschaft ist die Mittelschicht.”

Besonders besorgniserregend ist die steigende Armutsgefährdungsquote:

“Im Moment liegt die Armutsgefährdungsquote bei mehr als 16 Prozent. Das heißt, rund 13 Millionen Menschen in Deutschland sind von konkreter Armut bedroht.”

Historische Entwicklung der Vermögensverteilung in Deutschland

Die Vermögensverteilung in Deutschland war nicht immer so ungleich. Die Autoren beschreiben den Lastenausgleich, den die Regierung Adenauer 1952 einführte:

“Jeder Haushalt und alle Unternehmen mussten die Hälfte ihres Vermögens abgeben, damit etwa diejenigen entschädigt werden konnten, die im Krieg zum Beispiel als Ausgebombte oder Vertriebene besonders hohe Verluste erlitten hatten.”

Diese Vermögensabgabe wurde über 30 Jahre in Raten gezahlt. Bis 1982 nahm die Bundesrepublik dadurch 115 Milliarden D-Mark ein. Der Lastenausgleich trug wesentlich zur sozialen Gerechtigkeit in der jungen Bundesrepublik bei.

“Die Umverteilung funktionierte: 1969 waren nur noch 20 Prozent des gesamten Privatvermögens im Besitz des reichsten Bevölkerungsprozents. Zwanzig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik bot die Gesellschaft damit für eine Weile gerechte Chancen für die allermeisten Menschen.”

In den letzten Jahrzehnten hat die Ungleichheit jedoch wieder zugenommen. Das Vermögen der oberen Mittelschicht und der Superreichen wuchs ständig, während das Vermögen der weniger wohlhabenden Hälfte der Bevölkerung stagnierte.

Die Rolle der Steuerpolitik bei der Ungleichverteilung

Die Steuerpolitik in Deutschland zementiert die Ungleichheit, statt sie abzumildern. Die Autoren zeigen auf, dass in Deutschland:

“Im Vergleich zu anderen Ländern zahlen wir auf Arbeitseinkünfte besonders hohe Steuern, auf Vermögen als solche, Schenkungen und Erbschaften dagegen besonders niedrige.”

Arbeitseinkommen werden progressiv besteuert, mit Steuersätzen von bis zu 42 Prozent, zuzüglich Sozialabgaben. Wer sehr wenig verdient, zahlt zwar kaum Einkommensteuer, muss aber immer noch mehr als 20 Prozent seines Einkommens als Sozialabgaben entrichten.

Im Gegensatz dazu werden Erben und Beschenkte steuerlich deutlich bevorzugt, obwohl etwa 50 Prozent der Vermögen in Deutschland aus Erbschaften und Schenkungen stammen.

“Rund 400 Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr vererbt und verschenkt –, beinahe so viel wie der gesamte Bundeshaushalt.”

Die Problematik der Erbschaftssteuer

Die Autoren kritisieren besonders die Ausgestaltung der Erbschaftssteuer in Deutschland:

“Unsere Erbschaftssteuer ist im Grunde regressiv. Es gilt in der Tendenz: Je größer das Erbe, desto niedriger der Steuersatz.”

Dies liegt vor allem an den großzügigen Ausnahmeregelungen für Betriebsvermögen. Die Studie zeigt auf, dass zwischen 2009 und 2021:

“3630 Personen insgesamt 260 Milliarden Euro steuerfrei [erhielten] […] – das ist etwa ein halber Bundeshaushalt. Im Durchschnitt konnten diese Menschen eine Erbschaft von mehr als 71 Millionen Euro pro Person verbuchen.”

Besonders krass:

“Allein 43 Milliarden Euro gingen an 220 Kinder unter 14 Jahren, im Durchschnitt also fast 200 Millionen Euro pro Kind.”

Die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen führen dazu, dass gerade die größten Vermögen kaum besteuert werden:

“Menschen, die zwischen 2009 und 2020 Erbschaften und Schenkungen von mehr als 20 Millionen erhielten, [bekamen] diese in 87 Prozent der Fälle komplett steuerfrei.”

Weitere steuerliche Privilegien für Vermögende

Neben der problematischen Erbschaftssteuer weisen die Autoren auf weitere steuerliche Vorteile für Vermögende hin:

Auch bei Kapitalerträgen zeigt sich eine Bevorzugung:

“Einkünfte aus Wertpapieren – Zinsen, Dividenden und Gewinne aus Aktienspekulationen – [werden] lediglich mit der sogenannten Abgeltungssteuer von 25 Prozent belegt.”

Dies steht im krassen Gegensatz zum Spitzensteuersatz von 42 bzw. 45 Prozent auf Arbeitseinkommen.

Eine Vermögenssteuer, die von 1923 bis 1996 erhoben wurde, existiert in Deutschland nicht mehr, obwohl sie verfassungsrechtlich zulässig wäre.

Politik und Vermögensverteilung

Warum werden diese Ungerechtigkeiten nicht politisch bekämpft? Die Autoren sehen einen Grund in der Zusammensetzung der politischen Elite:

“Ungefähr die Hälfte aller Politiker:innen in Spitzenpositionen stammt nach Untersuchungen des Soziologen Michael Hartmann aus einer politisch-wirtschaftlichen Elite, den »oberen vier Prozent«.”

Diese Politiker haben “keine realistische Vorstellung vom Leben und Denken der Durchschnittsbevölkerung.”

Die Konsequenzen der Ungleichheit sind jedoch gravierend, insbesondere für Menschen am unteren Ende der Skala:

“Armut verringert die Lebenserwartung.”

Anhaltender Stress und schlechtere Ernährung führen zu mehr Krankheiten. Die Interessen dieser Menschen werden im politischen Prozess kaum vertreten.

Lösungsansätze für mehr Gerechtigkeit

Die Autoren stellen verschiedene Lösungsansätze vor, um die Ungleichheit zu verringern:

Ein “Lastenausgleich 2.0” nach dem Vorbild des Lastenausgleichs der Nachkriegszeit:

“Reiche Menschen und Unternehmen sollen eine geringe prozentuale Abgabe auf ihr Vermögen zahlen. […] Die ersten zwei Millionen Euro – bei Firmen sind es fünf Millionen Euro – sollen nicht besteuert werden. Erst Vermögen, das darüber liegt, würde besteuert.”

Diese Abgabe könnte, wie beim historischen Vorbild, über viele Jahre abgezahlt werden und dennoch bis zu 310 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen.

Auch eine Reform der Erbschaftssteuer wird vorgeschlagen. Interessanterweise gibt es mittlerweile sogar eine Initiative von Vermögenden selbst ("taxmenow"), die eine höhere Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen fordern.

Fazit: Ungleichheit als Gefahr für die Demokratie

Die Autoren betonen den Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und dem Schwinden des Vertrauens in die Demokratie:

“Wir müssen wieder mehr ökonomische Fairness wagen. Denn das Wohlstandsversprechen wird unglaubwürdig, wenn gesellschaftliche Ungleichheit wächst und sich verhärtet. Und diese Ungleichheit ist die größte innere Gefahr für eine Demokratie.”

Um die Demokratie in Deutschland zu stärken, muss die Schere zwischen Arm und Reich ein Stück geschlossen werden. Die Initiative “taxmenow” bringt es auf den Punkt:

“Vermögensungleichheit, wie sie heute existiert, untergräbt die Demokratie und schadet der Gesellschaft.”

Die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland

Bildung als Glücksspiel: Die ungleichen Startchancen

Die Autoren beginnen mit einer persönlichen Reflexion über ihre eigenen privilegierten Bildungswege:

“Wir beide hatten Glück bei dieser Lotterie der Lebenschancen. Wir stammen aus der sogenannten Mittelschicht, aus »bildungsbürgerlichen« Familien. Bei jedem von uns standen zu Hause ziemlich viele Bücher, abends sahen wir die Tagesschau, und wenn wir in der Schule Hausaufgaben aufbekommen hatten, hat meist jemand darauf geachtet, dass wir sie auch erledigten.”

Diese Unterstützung und die stabile familiäre Situation haben ihren schulischen Erfolg begünstigt und sie gegen die Unzulänglichkeiten des Bildungssystems “immunisiert”. Doch wie sie betonen:

“In keinem anderen Land in Europa hängt eine gute Bildung nämlich so sehr davon ab, wie gebildet und wohlhabend die Eltern sind.”

Die Autoren stellen das Wohlstandsversprechen als eine der wichtigsten Grundlagen für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland vor. Dieses Versprechen basiert auf dem Leistungsprinzip: Der Anteil am Wohlstand soll von der persönlichen Leistung abhängen, nicht von der sozialen Herkunft oder dem Einkommen der Eltern.

Bildung ist dabei der Schlüsselfaktor:

“Damit das funktionieren kann, muss der Staat das Bildungssystem so gestalten, dass allen jungen Menschen, unabhängig von Herkunft und Status der Eltern, tatsächlich die Chance auf eine gute Bildung bekommt.”

Der PISA-Schock und seine Folgen

Ein Wendepunkt in der deutschen Bildungsdiskussion war der sogenannte PISA-Schock im Jahr 2001. Die internationale Studie brachte Deutschland drei ernüchternde Erkenntnisse:

  1. Die 15-Jährigen lagen in allen drei Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften unter dem OECD-Durchschnitt.

  2. Die Leistungsunterschiede zwischen den stärksten und schwächsten Schülern waren im internationalen Vergleich überdurchschnittlich groß.

  3. Es gab einen “straffen Zusammenhang zwischen Sozialschichtzugehörigkeit und erworbenen Kompetenzen über alle untersuchten Domänen hinweg”.

Besonders alarmierend war, dass etwa 23 Prozent der Jugendlichen nur auf elementarem Niveau lesen konnten, was auch ihre Fähigkeit beeinträchtigte, Mathematik und naturwissenschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. Ein volles Viertel wurde als “Risikogruppe” eingestuft.

Die Autoren betonen, dass auch 20 Jahre nach dem PISA-Schock kaum Verbesserungen zu verzeichnen sind. Der IQB-Bildungstrend von 2022 zeigte sogar eine Verschlechterung im Vergleich zu früheren Untersuchungen von 2011 und 2016:

“Der Anteil der Schüler:innen, die den Mindeststandard nicht erreichen und damit ein hohes Risiko für einen weniger erfolgreichen Bildungsweg aufweisen, habe in allen Bereichen teils deutlich zugenommen.”

Die Systemprobleme des deutschen Bildungswesens

Der Bildungsföderalismus als Hemmschuh

Die Bildungshoheit der Länder erweist sich als problematisch für eine gerechte und effiziente Bildungspolitik:

“Schule und Bildung sind – neben der Polizei – eine zentrale Angelegenheit der Länder. Mehr als 90 Prozent aller Bildungskosten werden von Ländern und Kommunen getragen. Der Bund darf sich nur in sehr eng umrissenen Einzelfällen überhaupt in die Bildung einklinken – meist mit Sonderprogrammen.”

Diese föderale Struktur führt zu verschiedenen Problemen:

  1. Uneinheitliche Finanzierung: Der sogenannte Königsteiner Schlüssel verteilt Gelder nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl:

“Das heißt, Länder mit einem hohen Steueraufkommen bekommen automatisch mehr Geld als Länder mit einem geringen Steueraufkommen – und zwar auch dann, wenn es eigentlich darum gehen soll, ärmere Länder zu unterstützen.”

  1. Fehlende einheitliche Daten: In Deutschland gibt es 16 verschiedene Schulstatistiken, die kaum vergleichbar sind:

“Es gibt in Deutschland zurzeit 16 verschiedene Schulstatistiken – von denen kaum zwei dieselben Merkmale erfassen. Niemand kann auf dieser Basis einen belastbaren Überblick über Situation und Verteilung sozial benachteiligter Schüler:innen in Deutschland bekommen.”

  1. Die Kultusministerkonferenz (KMK) als schwerfälliges Koordinationsgremium:

“Meist sind das quälende Runden, weil die Vorstellungen je nach parteipolitischem Hintergrund sehr unterschiedlich sind.”

Die Krise des Lehrermangels

Die Unterfinanzierung des Bildungswesens und der dramatische Fachkräftemangel überlagern alle anderen Probleme oder lösen diese aus. In Deutschland fehlen mindestens 25.000 Lehrkräfte, nach anderen Berechnungen könnten es auch 40.000 sein.

“In zehn Jahren dürften 70.000 Stellen unbesetzt sein. Laut GEW fehlen bis 2035 sogar 500.000 Lehrer:innen.”

Die Situation ist bereits so dramatisch, dass Sachsen-Anhalt ein Modell mit “4 Tage pro Woche normaler Unterricht, ein Tag Projektzeit oder Distanzlernen” testete.

Der Lehrermangel wirkt sich besonders stark auf Schulen in benachteiligten Gebieten aus:

“Wenn ein Berufsanfänger aus 25 Angeboten wählen kann, muss er schon sehr idealistisch sein, um zu uns zu kommen.”

Die Reaktionen der Kultusministerkonferenz auf dieses Problem werden als “lauwarm, hilflos, panisch, mindestens zehn Jahre zu spät – und stellenweise auch zynisch” beschrieben.

Lösungsansätze für mehr Bildungsgerechtigkeit

Die Autoren stellen verschiedene Lösungsansätze vor:

  1. Das “Startchancen”-Programm der Ampel-Koalition:

    “4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler sollen vom Bund etwa ein sogenanntes Chancenbudget zur freien Verfügung bekommen.”

  2. Förderung von Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder unterschiedlicher Leistungsniveaus gemeinsam unterrichtet werden:

    “Wenn man die starken Schüler betrachtet, dann werden sie nicht gebremst, sondern gewinnen zum einen an Sozialkompetenz. […] Die Leistungsschwächeren sind davon nicht etwa demotiviert, sondern sehen ganz im Gegenteil, was alles möglich ist.”

  3. Frühe Sprachförderung durch Sprach-Kitas:

    “Dort werden vor allem fremdsprachige Kinder mit zusätzlichen Fachkräften betreut und in Zusammenarbeit mit den Eltern beim Deutschlernen unterstützt.”

  4. Reform der Mittelverteilung durch einen “Multiplen Benachteiligungsindex” (MBI):

    “Darin werden alle Faktoren der möglichen Benachteiligung zu sogenannten Dimensionen zusammengefasst: Wirtschafts- und Finanzkraft des Landes, soziale Bedürftigkeit, Bildungsstand der Bevölkerung und der Anteil Jugendlicher unter 18 Jahren mit Migrationshintergrund.”

  5. Professionalisierung der Schulleitung als Managementaufgabe:

    “Die Leitung einer Schule sei eine Managementaufgabe, die unbedingt professionalisiert werden müsse. Dafür brauche es länderübergreifende Qualitätsstandards, kompatible Ausbildungswege und größere Zeit- und Geldbudgets.”

  6. Reform des Bildungsföderalismus:

    “Es ist sehr sinnvoll, Bildungspolitik über Staatsverträge zu steuern und das Kooperationsverbot für eine gemeinsame Finanzierung aller Ebenen aufzuheben.”

Fazit: Bildung als gesellschaftliche Investition

Die Autoren schließen mit einem klaren Appell:

“Gute Bildungspolitik ist ein langfristiges, kleinteiliges und vielschichtiges Investment in eine funktionierende demokratische Gesellschaft und eine florierende Wirtschaft.”

Die messbare Wirkung einer chancengerechteren Bildung wäre keine plötzliche Sensation, sondern:

“Ein langsames Absinken struktureller Benachteiligung und messbarer Ungerechtigkeit, das zugleich deren Symptome reduzieren würde: beispielsweise Armutskriminalität, hohe Gesundheitskosten und, ja, auch Rechtsextremismus.”

Sie betonen, dass es keinen Königsweg zu einer besseren Bildung gibt, aber konkrete Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Besonders wichtig ist die Einsicht:

Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft – face it! Das ist eine große Chance, wenn wir sie denn nutzen.”

Das deutsche Rentensystem

Die Unsicherheit der gesetzlichen Rente

Das Kapitel beginnt mit der Geschichte von Burkhard Schröder, einem angesehenen Journalisten, der trotz jahrzehntelanger Berufstätigkeit als Freelancer im Alter nur 400 Euro Rente erhält:

“Was kümmert mich das heute? Bis 67 habe ich fünf Bestseller geschrieben, im Lotto gewonnen, geerbt, selbst Karriere gemacht oder bin längst tot. Kann alles sein, aber verlassen solltet ihr euch darauf lieber nicht.”

Diese Anekdote verdeutlicht ein zentrales Problem: Der Slogan “Die Rente ist sicher”, den die Bundesregierung unter Norbert Blüm 1986 plakatierte, hat mit der Realität vieler Menschen wenig zu tun. Zwar wird die gesetzliche Rentenkasse immer irgendeine Summe überweisen, wenn mindestens fünf Jahre lang eingezahlt wurde, aber eine auskömmliche Altersversorgung ist damit nicht garantiert.

Besonders problematisch: Fast 83 Prozent der arbeitenden und arbeitssuchenden Bevölkerung sind auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen. Bei den restlichen 17 Prozent haben Beamte ihre eigene Pension, während viele Selbstständige ohne entsprechende Vorsorge im Alter zu verarmen drohen.

Die Funktionsweise des Umlagesystems

Das deutsche Rentensystem basiert seit 1957 auf dem Umlageverfahren, bei dem die Einzahlungen der aktuell Berufstätigen direkt zur Finanzierung der laufenden Renten verwendet werden:

“Die Rentenkasse funktioniert seitdem eher wie die Haushaltskasse einer Familie: Ein Teil der Bevölkerung zahlt monatlich Geld ein, das im selben Monat an einen anderen Teil wieder ausgezahlt wird.”

Die aktuelle Beitragshöhe liegt bei 18,6 Prozent des Bruttolohns, wobei die Hälfte direkt vom Lohn abgezogen wird und die andere Hälfte vom Arbeitgeber übernommen wird. Im Jahr 2021 nahm die Deutsche Rentenversicherung monatlich durchschnittlich etwa 21 Milliarden Euro ein.

Dieser “Generationenvertrag” funktioniert allerdings nur, solange die Rentenversicherung mindestens so viel Geld einnimmt, wie sie auszahlen muss. Hier liegt das Kernproblem:

“Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Rechnung noch auf: Die Rente eines Rentners wurde im Schnitt von sechs arbeitenden Menschen erwirtschaftet. […] Im Jahr 2021 hingegen gab es in Deutschland nur noch rund 39 Millionen Versicherte, die einzahlten, aber etwa 18 Millionen Rentner:innen, die Geld bekamen. Statistisch gesehen finanzieren heute also nur noch rund zwei Lohnempfänger:innen gemeinsam einem Menschen die Rente.”

Die 100-Milliarden-Rentenlücke und ihre Ursachen

Die Einnahmen aus Beiträgen reichen bei weitem nicht aus, um die Ausgaben der Rentenkassen zu decken. Die Rentenkasse kann nur funktionieren, weil der Bund jährlich Milliarden aus dem Bundeshaushalt überweist:

“2023 waren es über 100 Milliarden, Tendenz steigend. […] Der gesamte Bundeszuschuss beläuft sich auf knapp ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts und deckt ein knappes Drittel der gesamten Ausgaben der Rentenkasse.”

Die Hauptursache für dieses Ungleichgewicht ist der demografische Wandel:

  1. Die geburtenstarken Jahrgänge (Babyboomer) gehen in den kommenden Jahren in Rente
  2. Immer weniger Menschen zahlen in die Rentenkasse ein
  3. Die Menschen leben immer länger und beziehen entsprechend länger Rente

Die Folgen sind dramatisch:

“Wenn wir es so laufen lassen, müsste der Bund in 25 Jahren mehr als die Hälfte des Haushalts dafür ausgeben. Das kann nicht funktionieren.”

Gleichzeitig muss Deutschland in den kommenden Jahren Hunderte Milliarden Euro für andere wichtige Zukunftsaufgaben aufbringen: Digitalisierung, bessere Bildung, Ausrüstung der Bundeswehr, Bekämpfung des Klimawandels und Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.

Die Berechnung der individuellen Rente

Die Rentenformel basiert auf vier Faktoren:

  1. Entgeltpunkte: Einen Rentenpunkt erhält man für jedes Jahr, in dem genau das bundesweite Durchschnittseinkommen verdient wurde. Bei höherem oder niedrigerem Einkommen ändert sich die Punktzahl entsprechend.

  2. Zugangsfaktor: Dieser Faktor berücksichtigt, ob man früher, später oder genau zum gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente geht. Früherer Renteneintritt bedeutet Abschläge, späterer bringt Zuschläge.

  3. Aktueller Rentenwert: Der Wert eines Entgeltpunkts in Euro, der jährlich neu festgelegt wird. 2023 lag er bei 37,60 Euro.

  4. Rentenartfaktor: Dieser Faktor hängt davon ab, warum jemand in Rente geht (Altersrente, Erwerbsminderungsrente usw.).

Eine kritische Erkenntnis: Das oft diskutierte “Rentenniveau” von 48 Prozent bezieht sich nicht auf das letzte eigene Gehalt, sondern auf einen fiktiven “Eckrentner”, der 45 Jahre lang genau das Durchschnittseinkommen verdient hat:

“Die meisten Menschen bekommen damit jedoch wesentlich weniger als 48 Prozent ihres letzten Einkommens. So lag die real ausgezahlte Durchschnittsrente 2022 bei 1276 Euro im Monat für Männer. Frauen bekommen im Schnitt sogar nur 1060 Euro.”

Nur rund 4,7 Millionen der etwa 21 Millionen Rentner bekommen überhaupt eine Rente in Höhe des “Eckrentners” oder darüber - also nur etwa jeder Fünfte.

Private Vorsorge als unverzichtbare Ergänzung

Angesichts der Probleme der gesetzlichen Rente betonen die Autoren die Notwendigkeit privater Vorsorge. Sie stellen verschiedene Optionen vor:

  1. Private Rentenversicherungen: Die staatlich geförderte Riester-Rente hat die Erwartungen nicht erfüllt, aber andere private Rentenversicherungen können ein Baustein der Altersvorsorge sein - besonders wenn die Beiträge in Aktien investiert werden.

  2. ETF-Sparpläne: Als besonders empfehlenswert werden ETF-Sparpläne dargestellt:

“Der wichtigste Baustein fürs Sparen im Alter heißt aber: Dinge kaufen, deren Wert mit den Jahren wahrscheinlich steigt. Zum Beispiel Immobilien oder Aktien. Wesentlich flexibler und oft auch mit mehr Rendite als in einer privaten Rentenversicherung könnt ihr euer Geld in einem ETF-Sparplan anlegen.”

Die Autoren betonen, dass selbst kleine monatliche Beträge über ein langes Arbeitsleben zu einer ordentlichen Zusatzversorgung führen können, und ermutigen dazu, frühzeitig mit dem Sparen zu beginnen.

Lösungsansätze für die Rentenkrise

Um das Rentensystem in Deutschland zu stabilisieren, diskutieren die Autoren verschiedene Reformmöglichkeiten, die an drei zentralen Stellschrauben ansetzen:

Fazit: Die Zukunft der Rente

Die Autoren ziehen ein nüchternes Fazit zur Zukunft der Rente in Deutschland:

“Damit es in Deutschland auch in Zukunft noch so etwas wie eine funktionierende gesetzliche Rentenversicherung gibt, muss das System grundlegend modernisiert werden. Das Umlagesystem funktioniert heute schon nicht mehr und wird nur mit Milliarden aus dem Haushalt am Leben gehalten.”

Sie fordern mutige Reformen, bei denen alle Beteiligten Abstriche machen müssen:

“Rentner:innen (vor allem reiche) werden Abstriche machen müssen. Die Renten können nicht mehr mit den Löhnen wachsen, sondern nur noch mit der Inflation. Wir werden umso länger arbeiten müssen, je höher die Lebenserwartung steigt.”

Zugleich wird betont, dass eine vollständige Absicherung allein durch die gesetzliche Rente nicht mehr realistisch ist:

“Allen Versicherten muss klar sein, dass die gesetzliche Rente in Zukunft nur noch ein Beitrag zu den Lebenskosten im Alter sein wird und allein nicht zu einem guten Leben reicht.”

Am Ende steht die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen:

“Eine existenzsichernde Rente, wie wir sie von Oma und Opa kennen, gibt es schon heute nicht mehr. Wenn die nächsten Reformen gelingen, kriegen wir aus der gesetzlichen Rentenversicherung einen Zuschuss für die elementaren Bedürfnisse. Um den Rest müssen wir uns selbst kümmern – und zwar schon heute.”

Mehr Macht wagen

Der bundesdeutsche Föderalismus bremst Reformen aus und funktioniert nicht mehr wie ursprünglich gedacht. Notwendige Gesetzesänderungen werden systematisch verzögert oder verhindert.

“Ein entscheidender Teil ihrer Lösung besteht meistens darin, die Rechtslage zu ändern. Doch leider ist die Art und Weise der Gesetzgebung in Deutschland ihrerseits eine Großbaustelle.”

Föderalismus auf Abwegen

Deutschland besteht aus 16 Bundesländern mit eigener Staatlichkeit. Der Bundesrat sollte ursprünglich als sachliches Gremium fungieren, hat sich aber zu einem politischen Blockadeinstrument entwickelt.

“Als 1948/49 das Grundgesetz formuliert wurde, sollte der Bundesrat als objektive und sachorientierte Kammer ein Gegengewicht zum politisierten Bundestag bilden. Von dieser Sachorientierung ist nach 75 Jahren nicht viel übrig.”

Von der Reform zum Reförmchen

Die Bürgergeld-Reform zeigt exemplarisch, wie eine grundlegende Reform durch den Bundesrat zu einem “Reförmchen” wird. Trotz Mehrheit im Bundestag wurden zentrale Reformelemente blockiert.

“Der Bundestag stimmte dem Entwurf zu. Doch vier Tage später schmetterte der Bundesrat das vom Bundestag beschlossene Gesetz wie angekündigt ab. Die Streichungen, auf die sich der Vermittlungsausschuss geeinigt hatte, betrafen die Kernpunkte der geplanten Reform.”

Die Opposition regiert mit

Selbst wenn eine Partei die Bundestagswahl verliert, kann sie über den Bundesrat Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen, wenn sie in ausreichend vielen Ländern mitregiert.

“Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christian Stecker sieht es als eine der ‘kaum hinterfragten Grundkonstanten des politischen Systems der Bundesrepublik, dass die Opposition mit Hilfe des Bundesratsvetos mitregieren kann.’”

Wie Gesetze im Bund beschlossen werden

Alle Bundesgesetze müssen vom Bundestag verabschiedet werden. Bei Zustimmungsgesetzen (etwa 40% aller Gesetze) ist zusätzlich die Zustimmung des Bundesrats erforderlich.

“Ganz egal, mit welcher Mehrheit der Bundestag einem Entwurf zustimmt, wenn nicht auch im Bundesrat eine Mehrheit zustimmt, kann das Gesetz nicht in Kraft treten.”

Die Mathematik der Macht

Im Bundesrat zählen nur Ja-Stimmen, und jedes Land muss seine Stimmen einheitlich abgeben. Eine Enthaltung wirkt faktisch wie ein Nein, was kleinen Koalitionspartnern in den Ländern unverhältnismäßig viel Macht gibt.

“Jede Stimme, die nicht Ja lautet, ist daher de facto eine Stimme gegen das Gesetz. Wenn Länder sich im Bundesrat enthalten, stimmen sie also in Wirklichkeit nicht neutral, sondern gegen das Gesetz.”

Der Sündenfall des Bundesverfassungsgerichts

1958 traf das Bundesverfassungsgericht eine folgenschwere Entscheidung, die die Vetomacht des Bundesrats deutlich vergrößerte.

“Wenn ein Gesetz auch nur einen Satz enthält, der der Zustimmung des Bundesrats bedarf - beispielsweise, weil er die Verwaltung der Länder betrifft -, dann macht dieser eine Satz das ganze Gesetz, also womöglich Hunderte von Paragrafen, im Bundesrat zustimmungspflichtig.”

Wann ist ein Veto legitim?

Die demokratische Legitimation der Vetoposition ist zweifelhaft. Heute können Parteien mit nur 12-20% der Wählerstimmen auf Landesebene Bundesgesetze blockieren.

“Christian Stecker rechnete 2021 vor: ‘Die Grünen kommen derzeit mit zwölf Prozent der bundesweiten Wählerunterstützung besonders günstig an föderale Vetomacht.’ Grund dafür ist die Tendenz zu immer breiteren Koalitionen in den Landesregierungen.”

Wie der Zwang zum Kompromiss die Demokratie aushöhlt

Die Notwendigkeit für breite Kompromisse über Parteigrenzen hinweg führt dazu, dass Wähler nicht mehr erkennen können, wer für welche Politik verantwortlich ist.

“Bei Kompromissen, die von einer informellen Koalition quer über das politische Spektrum ausgehandelt werden, können Wähler:innen nämlich oft nicht mehr erkennen, wer welche Aspekte durchgesetzt oder aber verhindert hat. Damit fehlt in letzter Konsequenz die Orientierung, wen sie für gute oder schlechte Entscheidungen jeweils verantwortlich machen können.”

Wie wir unseren Föderalismus reparieren können

Die Autoren schlagen eine einfache Lösung vor: Eine Enthaltung sollte als echte Enthaltung zählen, nicht als Nein. Ein Land sollte ein Gesetz nur blockieren, wenn alle Koalitionspartner darin einig sind.

“Die verfassungsrechtlich sauberste und sicherste Lösung wäre eine Änderung von Art. 52 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes: ‘Der Bundesrat fasst einen Beschluss, wenn die Zahl der für eine Vorlage abgegebenen Ja-Stimmen die Zahl der abgegebenen Nein-Stimmen übersteigt.’”

Noch einfacher wäre eine Änderung der Staatspraxis in den Ländern:

“Es würde schon ausreichen, wenn die Parteien die Staatspraxis in den Ländern änderten. Sie müssten nur vereinbaren, dass sich das jeweilige Land in Zukunft im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Koalitionsparteien nicht mehr enthält, sondern standardmäßig Ja sagt.”

Bye, bye, Happyland

Ein abschließender Appell an die Weiße Mehrheit. Während viele der Baustellen in diesem Buch mit politisch-juristischen Werkzeugen des Staates zu beheben sind, gibt es tiefere gesellschaftliche Probleme, die einer kulturellen Erneuerung bedürfen.

Die alltägliche Realität von Rassismus

Alltagsrassismus ist ein großes Problem in Deutschland. Menschen werden täglich benachteiligt und herabgewürdigt, weil sie als “anders” wahrgenommen werden.

“Jeden Tag werden Menschen in Deutschland benachteiligt, beleidigt, offen oder subtil herabgewürdigt und - mitunter wohlmeinend - ausgegrenzt, weil sie etwa aufgrund ihres Aussehens, ihres Namens oder ihrer Kleidung als »anders« gelesen werden als die Weiße Mehrheit im Land.”

Fast die gesamte Bevölkerung (90 Prozent) erkennt Rassismus als Realität in Deutschland an. Rassistische Diskriminierung findet sich strukturell in der Polizeiarbeit, im Bildungswesen und im Gesundheitssystem.

Das Leben im “Happyland”

Die Autoren wenden sich als weiße Mittelstandsmänner vor allem an die privilegierte Mehrheitsgesellschaft, die nicht direkt von Rassismus betroffen ist und sich daher nicht gezwungen sieht, sich damit auseinanderzusetzen.

“Wir leben, wie die Autorin und Trainerin Tupoka Ogette es in ihrem Buch Exit Racism nennt, im »Happyland«. Das ist der Teil Deutschlands, in dem Rassismus immer ein Charakterfehler der anderen ist: der Nazis, der rechten Schläger, der AfD.”

Die Wirklichkeit ist jedoch, dass rassistische Denkmuster auch in gebildeten, aufgeklärten Menschen wirken - meist unbewusst und entgegen dem eigenen Selbstbild.

Die historischen Wurzeln

Rassistische Ideologien wirken in europäischen Gesellschaften seit Jahrhunderten und haben die Kolonisierung, Versklavung und Völkermorde legitimiert.

“Diese über Jahrhunderte implementierten Vorstellungen von einer angeblich natürlichen Hierarchie unter Menschen verschwinden leider nicht, nur weil sich die Staatsform demokratisiert. Rassistische Denkfiguren überleben bis heute in unserer Kultur und unserem Verhalten.”

Eine Befragung unter Leitung der Migrationsforscherin Naika Foroutan zeigte, dass bei jeder zweiten bis dritten befragten Person “biologistische Kategorisierungen, kulturelle Hierarchisierungen und [die] Legitimierung von sozialen Ungleichheiten” zu finden sind.

Die konkreten Auswirkungen

Die Folgen von Rassismus sind allgegenwärtig und messbar: Schwarze oder asiatisch aussehende Menschen haben schlechtere Chancen bei Bewerbungen, besonders wenn sie für muslimisch gehalten werden. Menschen mit fremd klingenden Namen werden bei Wohnungsbewerbungen aussortiert.

Der Afrozensus, eine Befragung von etwa 6000 Schwarzen und afrodiasporischen Menschen, listet über 40 Alltagssituationen auf, die als rassistisch und diskriminierend empfunden werden. Über 60 Prozent der Befragten meiden bestimmte Reiseziele in Deutschland aus Angst vor rassistischer Gewalt.

“Wenn ich dauernd gefragt werde, wo ich herkomme, komisch angeschaut werde, wenn ich ein Restaurant betrete, ich fragen muss, ob ich die Wohnung nicht bekommen habe, weil mein Name nicht deutsch klingt – dann habe ich keine Wahl. Rassismus ist Alltag, keine Option.”

Wege zur Veränderung

Um Rassismus zu bekämpfen, schlagen die Autoren mehrere Schritte vor:

Fazit

Die Autoren schließen mit einem Appell zur Selbstreflexion und Anerkennung des Problems:

“Beginnen wir also damit, dass wir unser Problem anerkennen. Reflektieren wir unsere Impulse und wagen wir den Perspektivwechsel. Das löst nicht alle Probleme, aber ohne uns geht es nicht.”

Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht allein durch staatliche Maßnahmen gelöst werden kann. Es erfordert das aktive Engagement und die Selbstreflexion jedes Einzelnen, insbesondere der nicht direkt betroffenen Mehrheitsgesellschaft.