Europa im Erdölrausch
Entstehung des Erdöls
Die Entstehung von Erdöl und Erdgas
>>Produziert<< wurde das Erdöl durch die Erdölindustrie nie, auch wenn dieser Aus druck zuweilen anstelle von »gefördert«< verwendet wird und suggeriert, die Erdölin dustrie würde selber etwas herstellen. Dies ist natürlich nicht der Fall; die Erdölindu strie veredelt lediglich Rohöl zu Erdölprodukten wie Diesel oder Heizöl. Das Rohöl selber kann niemand >>produzieren<«< - es entstand, gleich wie die Kohle und das Erd gas, lange bevor die ersten Menschen den Planeten bevölkerten. Es ist ein Rückstand aus organischen Überresten, hauptsächlich aus Algen und tierischem Plankton, aber auch aus Landpflanzen, die sich als »gespeichertes Sonnenlicht«< am Meeresboden von Ozeanen, Seen und küstennahen Gewässern ansammelten. Während sich der größte Teil der toten organischen Substanz am Meeresboden zersetzte und verrottete, wurde ein kleiner Teil von Sedimentgestein zugedeckt, über Millionen von Jahren konserviert und durch Untergrundhitze und Druck in Erdöl und Erdgas verwandelt.'
Die winzigen und leichten Tröpfchen von Erdöl und kleinen Blasen von Erdgas wanderten im Laufe der Erdgeschichte durch feine Poren des schweren Gesteins nach oben, traten auf natürliche Weise an der Erdoberfläche aus und gingen dadurch wie der verloren. Nur an wenigen Stellen trafen die aufsteigenden Tröpfchen und Blasen auf eine undurchdringbare Decke, eine sogenannte Kappe, die sie am weiteren Auf steigen hinderte, was dazu führte, dass sich unter dem Erdboden und unter dem
Meer kleine und große Speicherfelder aus porösem Gestein, getränkt mit Erdgas u Erdöl, bilden konnten. Im porösen Speichergestein konzentrierte sich das leichtere Gas jeweils in den oberen Lagen.
Nach dem Abbau von Kohleschichten oder Salzlagen entstehen im Erdboden Löcher, ja ganze Gang- und Höhlensysteme, in denen ein erwachsener Mensch gehen oder ein Lastwagen fahren könnte. Solche Öffnungen werden zum Teil wieder geschlossen, durch Entfernen der Verstrebungen und durch geplantes Absenken der gar darüberliegenden Schichten. Analog ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstan den, dass durch die Förderung von Erdöl und Erdgas solche Leerräume im Unter grund entstehen - zumindest sind entsprechende Fragen des Öfteren an mich heran getragen worden, sowohl von meinen Studenten wie auch bei öffentlichen Vorträgen zum Thema Erdöl in der Privatwirtschaft. Diese Vorstellung ist indes falsch. Sie be ruht zum Teil auf semantischen Missverständnissen. Ein »Oil Pool<< ist nicht ein >>Erdölteich«<, sondern eine Ansammlung von Rohöl in porösem Reservoirgestein. Nach dem Abbau von Erdöl und Erdgas bleiben keine Hohlräume zurück, denn das Erdöl, gleich wie das Erdgas, befindet sich in einem Speichergestein in winzigen Poren, also zum Beispiel zwischen den Sandkörnern eines ölführenden Sandsteins, und das Speichergestein bleibt im Boden. Das mengenmäßig entzogene Erdöl wird in aller Regel durch aufsteigendes Wasser ersetzt.
Erdöl kann, anders als landläufig angenommen, auch niemals in vollem Umfang gefördert werden - mehr als die Hälfte bleibt als Restöl im Gestein haften. Der Ent ölungsgrad, der den prozentualen Anteil des geförderten Erdöls am Gesamtvorkom men angibt, ist je nach Lagerstätte und Beschaffenheit des Erdöls sehr unterschied lich und liegt durchschnittlich bei 20 bis 40 Prozent. Durch das Einpressen von Wasser oder durch Injektion von Chemikalien oder Gasen (sekundäre und tertiäre Förderung) kann der Entölungsgrad eines Feldes auf bis zu 45 Prozent erhöht werden. Die sekundäre und tertiäre Förderung ist teuer und aufwendig. Wann ein Erdölfeld wirklich leer ist, hängt daher auch vom Erdölpreis auf dem Weltmarkt ab. Erst wenn dieser über 70 Dollar liegt, ist die sekundäre und tertiäre Förderung wirtschaftlich.
Erdöl und Erdgas, die durch Ritzen und Poren auf natürliche Weise an der Erd oberfläche auftreten, waren schon in früheren Jahrhunderten bekannt. 3000 v. Chr. wurde in Mesopotamien an verschiedenen Orten eine schwarze, halbfeste, schlam mige Substanz beobachtet, die aus Bodenritzen und Gesteinsspalten austrat und als >>Erdpech« oder »>Bitumen« bezeichnet wurde. Die berühmteste Erdölquelle lag in Hit am Euphrat im heutigen Irak, unweit von Bagdad, damals als die sagenhafte Stadt Babylon verehrt. »>Es gibt viele unglaubliche Wunder im Lande Babylon, aber
Macht der Kartell
Die Macht der Kartelle
Geheime Absprachen unter Unternehmen, um den Wettbewerb zu beschränken, sind weltweit verboten. Solche »Kartelle«, die im Extremfall den wirksamen Wett bewerb vollständig beseitigen, haben volkswirtschaftlich und sozial schädliche Aus wirkungen. Die an einem Kartell beteiligten Unternehmen bleiben rechtlich selbst ständig, vereinbaren aber hinter geschlossenen Türen, die Preise abzusprechen, und den Wettbewerb untereinander einzuschränken oder gar aufzuheben. Kartelle sind regelrechte Verschwörungen, also Absprachen zwischen zwei oder mehr Menschen, um im Geheimen ein Ziel zu erreichen. Sie untergraben die freie Marktwirtschaft und führen für die Konsumenten zu überhöhten Preisen oder anderen Wettbe werbsverzerrungen, während die am Kartell beteiligten Unternehmen unangemes sen hohe Profite erzielen.
Die Wirtschaftsgeschichte beweist, dass es in Europa und den USA trotz Verbo ten immer wieder zu Kartellen gekommen ist; aufgedeckt wurden unter anderem Preisabsprachen über Bier, Zement und Vitamine. Dabei zeigte sich, dass ein Kartell umso leichter entsteht, je weniger Anbieter es in einem Markt gibt und je ähnlicher die angebotenen Produkte einander sind. Diese Merkmale treffen auch auf den Markt für Erdölprodukte zu. Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin sind unabhängig vom Anbieter praktisch identisch. Das Benzin von der ExxonMobil-Tankstelle un terscheidet sich kaum vom Benzin der Shell- oder Tamoil-Tankstelle. Der Erdöl markt ist daher anfällig für die Bildung von Kartellen.
Goldabdeckung
Das Aufheben der Golddeckung des Dollars ist als »Nixon-Schock in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen. Dass die USA das System von Bretton Woods zerstör ten, verstimmte die Europäer sehr. Was in »den europäischen Metropolen einmal mehr Verärgerung auslöste, war der imperiale Stil der amerikanischen Außen-, Sicherheits- und eben auch Wirtschaftspolitik«<, so Gregor Schöllgen. »Immerhin betraf die einseitige Ankündigung dieser Maßnahmen auch die Partner der USA, ohne dass diese zuvor konsultiert oder auch nur informiert worden wären.«8 Besonders schmerzhaft war der Abschied vom Goldstandard für die Erdölexporteure. Sie wussten, dass durch die Abschaffung der Golddeckung die grünen Dollar scheine, die sie für ihr Erdöl erhielten, weniger Wert hatten. Nixon hatte mit einem Federstrich den Wert der von den Erdölförderländern gehaltenen Dollarreserven empfindlich verringert, »> Welchen Sinn hat es, mehr Öl zu produzieren und für eine unsichere Papierwährung zu verkaufen?<«<, klagte der kuwaitische Ölminister. >>Warum das Öl fördern, das unser Brot und Butter, unsere Stärke ist, und es für eine Summe Geldes abgeben, dessen Wert bis nächstes Jahr um soundsoviel Prozent fallen wird?? Während die Abschaffung der Golddeckung die Europäer und die Erdölexpor teure erzürnte, war sie für die USA ein Vorteil. Im System von Bretton Woods hatte die Golddeckung die Geldmenge beschränkt. Doch seit der Abschaffung der Gold deckung existiert diese Beschränkung nicht mehr. Die Notenbank der USA kann bis heute ohne Beschränkung grüne Scheine drucken, um diese gegen Erdöl einzutau schen. »>Die US-Regierung«<, so Ben Bernanke, der spätere Chairman des Federal Reserve Boards, >>hat eine Technologie, genannt Druckpresse (beziehungsweise heute ihre elektronische Version), die es ihr erlaubt, so viele Dollars zu drucken, wie sie will, und das praktisch gratis.<«<10
Als der Dollar noch mit Gold gedeckt war, bestand der internationale Erdölhan del im Kern im Austausch von Gold gegen Rohöl. Doch nach 1971, so erkannten die Erdölproduzenten mit Schrecken, wandelte sich der internationale Erdölhandel zur Formel »Papier für Rohöl«. Das Rohöl wurde zwar weiterhin in Dollars bezahlt, doch diese waren nicht mehr durch Gold gedeckt. Das Fed ist seit 1971 dazu überge gangen, die Geldmenge in zuvor nie gekannter Weise aufzublähen, indem Dollars aus dem Nichts erschaffen werden. »>Die US-Notenbank Fed produziert, wenn nötig, Dollarscheine wie die Firma Hakle Klopapier<«<, kritisierten Schweizer Finanzexper ten wie Professor
Bilderberger
Yamani verwies auf das Buch »Mit der Ölwaffe zur Weltmacht des amerikani schen Journalisten William Engdahl. Dieser vertritt die These, dass vor Beginn der Erdölkrise, vom 11. bis 13. Mai 1973, auf der abgelegenen schwedischen Insel Saltsjö baden ein Treffen der wenig bekannten >>Bilderberger« stattgefunden habe. Die Bil derberger sind ein 1954 gegründeter privater Verein einflussreicher Personen aus Po litik, Militär und Wirtschaft, vorwiegend aus NATO-Ländern, die sich jährlich treffen, das erste Mal im Hotel Bilderberg in der Nähe von Arnheim in Holland, daher der Name. Bei ihrem Treffen im Frühling 1973, so behauptet Engdahl, hätten Henry Kissinger, Lord Greenhill, der Aufsichtsratsvorsitzende von BP, David Rocke feller von der Chase Manhattan Bank, George Ball von der Investment-Bank Leh man Brothers und Zbigniew Brzezinski, später nationaler Sicherheitsberater von Präsident Carter, teilgenommen und den Zerfall des Dollars und die Erhöhung des Erdölpreises besprochen. Ein gewisser Walter Levy, so Engdahl, habe beim Treffen in Saltsjöbaden ein Szenario erörtert, das von einem Anstieg des Rohölpreises um 400 Prozent ausging.
Als der Erdölpreis während der ersten Erdölkrise tatsächlich um 400 Prozent stieg, half dies, die Dollarkrise zu entschärfen. Der in Saltsjöbaden gefasste Plan »>war sehr einfach«<, so Engdahl. »Ein globales Ölembargo sollte die Ölversorgung welt weit drastisch verknappen. Das würde die Weltölpreise dramatisch steigen lassen… Mit dem Ölpreis musste also auch die Nachfrage nach US-Dollars ansteigen. Die steigende Nachfrage nach Dollars würde den Druck von ihm nehmen und seinen Wert stützen.«21 Vom Anstieg des Erdölpreises, so die These von Engdahl, hätten trotz Rezession im eigenen Land vor allem die USA profitiert. »>Die Volkswut sollte sich gegen die bösen Ölscheichs richten… die eigentlichen Drahtzieher blieben verborgen und gebärdeten sich nach außen auch noch als die hintergangenen Ge schädigten.«22
Carter-Doktrin
Öffentlichkeit gab sich Präsident Carter erstaunt und entrüstet über die sowjetische Invasion in Afghanistan und erklärte, die Kommunisten dürften auf kei nen Fall ihre Hand auf das Erdöl am Golf legen. Um die Kontrolle der USA über die großen Erdölreserven am Persischen Golf abzusichern, nahm Carter den Angriff der Sowjets auf Afghanistan zum Anlass, um am 23. Januar 1980 die sogenannte Carter Doktrin zu verkünden. »Lasst uns unsere Position ganz klar darlegen<«<, so Carter: »Jeder Versuch einer ausländischen Macht, die Region des Persischen Golfs in ihre Gewalt zu bringen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen nötigen Mitteln zurück geschlagen werden, militärische Gewalt eingeschlossen.<<"
Um zu unterstreichen, wie ernst es den USA mit der Kontrolle des Erdöls am Persischen Golf war, eröffnete das Pentagon das US Central Command (CENTCOM), das die Aufgabe erhielt, das riesige Gebiet der Länder am Roten Meer und am Persi schen Golf zu überwachen, darunter Saudi-Arabien, Irak, Iran, Kuwait, die Vereinig ten Emirate, Bahrain, Katar, Ägypten, Sudan und Somalia. Das CENTCOM hatte damit die Aufgabe erhalten, den Nahen Osten und die größten Erdölvorräte der Welt zu kontrollieren.
Die meisten Erdölländer am Golf waren über den Ausbau der amerikanischen Präsenz nicht erfreut, da christliche Soldaten in muslimischen Ländern grundsätzlich nicht willkommen sind, unabhängig davon, ob sie aktiv in Kämpfe eingreifen oder aber nur auf Militärbasen oder Schiffen stationiert sind. Noch größer als das Miss trauen gegenüber den USA war indes der Streit unter den mächtigsten Erdölländern der Region. Saudi-Arabien, Irak und Iran waren miteinander verfeindet, und sind es bis heute. Gemäß Mansur Khan schürten die USA diese Spannungen gezielt, »denn um den US-Einfluss in der Golfregion auszubauen, mussten zwei der potenziell mächtigen Golfstaaten, der Irak und der Iran, militärisch und wirtschaftlich ge schwächt werden«<,7 Khan glaubt, dass der intrigante amerikanische Sicherheitsbera
Irak
Das Embargo forderte unter der irakischen Zivilbevölkerung mehr Tote als der Krieg. Trotzdem hielt die Administration von Präsident Bill Clinton mit aller Härte daran fest. Ab Juni 1996 wurde dem Irak zwar erlaubt, eine beschränkte Menge Erdöl zu exportieren, um im Gegenzug unter strenger internationaler Kontrolle Medizin und humanitäre Hilfsmittel zu importieren (Oil-for-Food-Programm der UNO). Doch die Anzahl der Toten in der irakischen Zivilbevölkerung stieg weiter an. «<Wir haben gehört, dass nun eine halbe Million Kinder gestorben sind», kritisierte die amerikanische Fernsehjournalistin Lesley Stahl das Embargo 1996 und fragte Made leine Albright, die amtierende UNO-Botschafterin und spätere Außenministerin der Administration Clinton: Ich meine, das sind mehr Kinder als die, welche in Hiro shima verstarben, ist es [das Embargo] diesen Preis wert?<«< Botschafterin Albright überlegte einen Moment lang, dann sagte sie zynisch: »Ich glaube, das ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber der Preis - wir glauben, es ist diesen Preis wert.46 Albright unterstrich mit aller Deutlichkeit, dass die USA bereit seien, in den Ländern des Nahen Ostens zu töten, auch Kinder, um das Erdöl zu kontrollieren.
Nach dem Sieg über den Irak bauten die USA im erdölreichen Golfstaat Kuwait umfangreiche Militärbasen auf. Noch in der Zeit des Kalten Krieges wäre ein derart direkter und offensichtlicher Zugriff auf das Erdöl undenkbar gewesen. Doch am Ende des Kalten Krieges war die Sowjetunion zusammengebrochen, und die USA nutzten die Gunst der Stunde und stiegen zur dominanten Militärmacht am Golf auf. Erst viel später wurde bekannt, dass das amerikanische Wirtschaftsembargo ge genüber dem Irak zu einem komplizierten großen Korruptionsskandal geführt hatte, von dem auch die USA profitierten. Das Oil-for-Food-Programm erlaubte dem Irak, eine beschränkte Menge Erdöl zu exportieren. Dieser Erdölverkauf generierte Ein nahmen im Umfang von 65 Milliarden Dollar, die auf einem Spezialkonto der Bank BNP Paribas deponiert wurden. Der Irak konnte nicht auf das BNP-Paribas-Konto zugreifen. Die UNO überwachte das Konto und setzte die Erdölmilliarden für den Kauf von Medizin und Lebensmittel wie Zucker, Reis und Tee ein, die dann in den Irak importiert wurden. Dabei kam es jedoch zu überhöhten Preisen und sogenann ten Kick-Back-Zahlungen im Umfang von fast 2 Milliarden Dollar. Kick-Back-Zah lungen sind vereinbarte Rückvergütungen, bei denen die beteiligten Firmen absicht lich zu hohe Preise verrechneten und danach im Geheimen Geld an Präsident Hussein zurückbezahlten. Über 2800 Firmen aus verschiedenen Ländern waren in den Kor ruptionsskandal involviert.47
Mark Pieth, Strafrechtsprofessor an der Universität Basel, fand heraus, dass auch Schweizer Firmen illegale Zahlungen an den Irak geleistet hatten, darunter der Roh
warenhändler Glencore aus Zug. Glencore kaufte zur Zeit des Embargos Erdöl von Saddam Hussein zu einem überhöhten Preis und schickte dann Geld an den Irak zurück, und zwar über Mittelsmänner, die Tausende von Dollars in bar nach Genf in die Botschaft des Irak brachten, so Pieth. Glencore bestätigte, dass im Rahmen des Oil-for-Food-Programms überhöhte Preise verrechnet wurden, aber alle Akteure am Markt hätten dies akzeptiert.48
Auch die USA waren in die Korruption des Oil-for-Food-Programms verstrickt, wie die französischen Journalisten Denis Poncet und Remy Burkel aufdeckten. Als die USA im März 2003 den Irak angriffen, um Saddam Hussein zu stürzen, endete das Programm. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich aber noch 9 Milliarden Dollar auf dem Oil-for-Food-Konto, die noch nicht für Lebensmittel ausgegeben worden waren und eigentlich dem Irak gehörten. Doch Paul Bremer, der amerikanische Verwalter des besetzten Iraks, ließ dieses Erdölgeld beschlagnahmen, abpacken und als Bargeld in Form von 100-Dollar-Noten auf Holzpaletten mit Militärflugzeugen in den Irak schi cken. Das Gewicht des Papiergeldes betrug 360 Tonnen. Bremer verteilte es an seine Mitarbeiter und ausgewählte Firmen, wodurch der Irak unfreiwillig seine Besetzung mitfinanzierte. Viel Geld verschwand.49 Als der Korruptionsfall bekannt wurde, äu Berten auch US-Parlamentarier scharfe Kritik. »Wer, der noch bei Sinnen ist, würde 360 Tonnen Bargeld in eine Kriegszone fliegen?«, fragte Henry Waxman, ein Demo krat aus Kalifornien. »Doch genau das hat unsere Regierung getan!« Bremer, der vor dem Kongress aussagen musste, räumte Fehler ein, bestand aber gleichzeitig darauf, dass sein Verhalten richtig gewesen sei: »Wir mussten die Iraker in bar bezahlen.«50
Die Intrigen und Verbrechen im Nahen Osten, an denen Amerikaner und Euro päer beteiligt waren, um das Erdöl zu kontrollieren, sind der Bevölkerung in Europa und den USA mehrheitlich unbekannt und werden nur selten in den Medien darge legt. Auch der Aufbau großer amerikanischer Militärbasen mit Tausenden von Sol daten und schwerem Kriegsgerät am Golf wurde weder in den USA noch in Europa kontrovers diskutiert. Im Kalten Krieg hatte es keine amerikanischen Militärlager am Golf gegeben. Doch vor und nach dem Kuwaitkrieg wurden US-Militärbasen nicht nur in Kuwait, sondern auch in Saudi-Arabien errichtet.
Der Saudi Osama Bin Laden verurteilte die Präsenz amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien scharf und kritisierte die saudische Regierung heftig. Die Regierung wies ihn darauf hin an, Saudi-Arabien zu verlassen, worauf sich Bin Laden zuerst in den Sudan und dann nach Afghanistan absetzte. Im afghanischen Jalalabad erklärte Bin Laden 1996 den USA den Heiligen Krieg. Gegenüber dem britischen Journalis ten Robert Fisk betonte er, dass alle amerikanischen Soldaten Saudi-Arabien verlas
Peak Oil
Was bedeutet Peak Oil?
Die Angst vor dem Ende des Erdölzeitalters ist so alt wie die industrielle Förderung von Erdöl. Immer wieder haben Menschen - auch wenn es nur wenige waren - dar über nachgedacht, wann alles Erdöl verbrannt sein würde und welche Folgen daraus für die Gesellschaft entstehen könnten. Experten versuchten, die noch verfügbaren globalen Erdölreserven abzuschätzen, und teilten diese durch den Jahresverbrauch, um zu berechnen, wie lange das Erdöl noch reicht. Doch weil die Zahlen zu den Re serven damals wie heute intransparent und wenig verlässlich sind und zudem der Erdölpreis und die Entwicklung der Technik die Fördermengen stark beeinflussen, kam es wiederholt zu falschen Voraussagen über das Ende des Erdölzeitalters.
Im Jahre 1885 warnte der amtliche Geologe von Pennsylvania, dass »die erstaun liche Flut von Öl« nur ein »vorübergehendes und schon wieder im Verschwinden begriffenes Phänomen<< sei, »eine Erscheinung, deren natürliches Ende die jungen Männer von heute noch erleben werden«. Diese Prognose vom Ende des Erdölzeit alters in den USA erwies sich als völlig falsch, wie wir heute wissen. Erdöl war in größeren Mengen vorhanden, als damals vermutet wurde.
Auch in Europa beobachtete man die Endlichkeit des Erdöls. Der Ökonom Ju lius Swoboda, der in seiner Dissertation an der Universität Basel im Jahre 1895 das Entstehen der Erdölindustrie untersuchte, erkannte richtig, dass Erdölfelder sich er schöpfen und dann versiegen. »Es ist zweifellos, dass die jetzigen Ölfelder Russlands und Amerikas nicht ewig ergiebig bleiben und dass dieselben einmal gewiss auch versiegen werden, so Swoboda. Der Ökonom betonte, dass die Gesamtproduktion nur dann erhöht werden könne, wenn neue und größere Erdölfelder erschlossen werden, um die einbrechenden Felder zu ersetzen. >>Es ist schon zu wiederholten Malen in verschiedenen Zeitschriften hervorgehoben worden, dass die amerikanische Erdölausbeute, wenn auch in ihrer Gesamtheit steigend, auf den einzelnen Ölgebie
ten in fortwährendem Abnehmen sei, beobachtete Swoboda, und dass der Unter gang der amerikanischen Petroleumindustrie wohl schon längst erfolgt wäre, wenn man nicht immer neue Gebiete entdeckt und erschlossen hatte.
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren in Deutschland Warnungs- und Drohrufes bekannt, die dahin ausklangen, dass eines Tages eine Zeit kommen werde, in der die gesamten Erdöllager auf der ganzen Welt erschöpft seien, so der deutsche Techniker Fritz Pachtner in seinem Buch »>Weltmacht Erdol, das 1929 publiziert wurde. »Nam hafte Fachleute auf dem Erdölgebiete sowie Geologen stellten unter Zugrundelegung verschiedenartiger Annahmen Schätzungen auf, wie groß der gesamte noch verfüg bare Weltvorrat an Erdöl wohl sein möge, und wie lange er noch den von Jahr zu Jahr in starkem Maße wachsenden Bedarf an Erdölprodukten befriedigen könne. Pacht ner glaubte, »dass etwa in so Jahren [also 1979] die natürlichen Erdölvorräte auf der ganzen Welt erschöpft seien. Auch diese Schätzung war völlig falsch - es gab viel mehr Erdöl, als die Experten glaubten."
Die zitierten Beispiele aus den USA und Europa zeigen, dass man zwar schon immer um die Endlichkeit des Erdöls wusste, aber unfähig war, das Ende des Erdöl zeitalters korrekt zu datieren. Wer aus den fehlerhaften Prognosen indes schließt, Erdöl werde überhaupt nie ausgehen, liegt auch falsch. Denn Erdöl ist im Boden nur in beschränkten Mengen vorhanden, genau gleich wie im Tank eines Autos, der eben falls nach einer gewissen Zeit leer ist. Wir wissen heute, dass der analytische Ansatz. die globalen Erdölreserven abzuschätzen und diese durch den Jahresverbrauch zu teilen, um daraus das Ende des Erdölzeitalters zu berechnen, sich nicht bewährt hat. Es braucht bessere Methoden, um das Ende des Erdölzeitalters zu erforschen.
Zu einem Fortschritt in der Debatte um das Ende des Erdöls kam es 1956, als der amerikanische Erdölgeologe Marion King Hubbert, der am Forschungslabor der Shell Oil Company in Houston arbeitete, erklärte, dass die zeitliche Entwicklung der Erdölproduktion eines Feldes, einer Region, eines Landes und auch der Welt jeweils einer Glockenkurve ähnelt. Den Scheitelpunkt der Glockenkurve, also das Maxi mum der Erdölproduktion, den Peak Oil, müsse man untersuchen, nicht das Ende vom Erdöl. Hubbert erklärte, die USA würden das Fördermaximum Peak Oil 1970 erreichen. Wie oben dargelegt, glaubte ihm niemand, doch er hatte recht. Die USA erreichten 1970 das Fördermaximum Peak Oil bei 10 Millionen Fass pro Tag, heute liegt die Erdölförderung in den USA deutlich tiefer.
Die wissenschaftliche Debatte um das Ende des Erdöls dreht sich heute um die Frage, welche Länder den Peak erreicht haben, welche unter einer fallenden Förde rung leiden und wie lange das weltweite Erdölangebot noch erhöht werden kann.
Während in den USA und in Deutschland einige Experten mum warnten, herrschte in den Massenmedien diesbezüglich nur Desinteresse. »In Interviews mit Vertretern der Erdölindustrie- Männern und eini gen wenigen Frauen, die in aller Regel ziemlich optimistisch bezüglich ihres Ge schäfts waren-hörte ich immer wieder, wie es stets schwieriger werde für die Erdöl firmen, neues Erdöl zu finden«, schilderte der amerikanische Journalist Paul Roberts in seinem 2004 erschienenen Buch »The End of Oil die Stimmung in der Erdölbran che. Die Regierung der USA verfolge »eine aggressive Politik«, um Erdöl zu sichern, doch US-Bürger seien über die Realität von Peak Oil nicht informiert. »Amerikaner, so scheint es, leiden sehr stark an etwas, das man wohl bald als Energieanalphabetis mus bezeichnen wird«, klagte Roberts. »Die meisten von uns verstehen so wenig von Energieökonomie, dass wir keine Ahnung davon haben, dass sie dabei ist, zusam menzubrechen.<<70 vor dem Fördermal Verwirrung oder
Auch im amerikanischen Kongress wurde über den Peak Oil und den steigenden Erdölkonsum von China und Indien diskutiert. »Jede denkende Person muss erken nen, dass die Welt auf eine Krise zusteuert«<, warnte der Republikaner Roscoe Bartlett aus Maryland im November 2005.71 Zusammen mit dem Demokraten Tom Udall aus New Mexiko gründete Bartlett einen parlamentarischen Ausschuss, der sich mit dem Peak Oil und seinen Folgen beschäftigte. Bartlett traf auch Präsident George Bush junior im Weißen Haus für eine »ausgedehnte Diskussion zum Thema Peak Oil und Ende des billigen Öls«.72 Doch in der breiten amerikanischen Öffentlichkeit und in den Medien spielte das Thema Fördermaximum weiterhin kaum eine Rolle; die meisten Amerikaner wissen auch heute nicht, was Peak Oil bedeutet.
Es muss davon ausgegangen werden, dass auch in Europa in der breiten Bevölke rung der Begriff »Peak Oil« noch wenig bekannt ist, wie auch die Tatsache, dass beim konventionellen Erdöl das Fördermaximum bereits erreicht wurde. Auf strategischer Ebene aber wird zum Beispiel in Deutschland zum Peak Oil geforscht. Das von Bri gadegeneral Axel Binder geführte Zentrum für Transformation der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin, ein Thinktank der Bundeswehr, publizierte im Juli 2010 eine bemerkenswerte Studie mit dem Titel >>Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikatio nen knapper Ressourcen<«<. Die Studie hielt fest, dass es nicht nur darum gehe, den präzisen Zeitpunkt des Fördermaximums zu bestimmen. Weit wichtiger sei es, Wirkungszusammenhänge, die auf den Peak Oil folgen, abzuschätzen, da in der Ver die gangenheit verschiedenste Konflikte ausgebrochen sind, deren Zustandekommen und Verlauf durch die Verfügbarkeit oder das bloße Vorhandensein von Rohstoffen beeinflusst waren«. Es bestehe >>eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Peak Oil
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Konventionelles vs unkonventionelles Öl
Kann das unkonventionelle Erdöl
die Lücke füllen?
Jeroen van der Veer, der CEO von Shell, erklärte im Jahre 2006, dass das konventio nelle Erdöl den Peak erreicht habe. »Meiner Ansicht nach hat das konventionelle Erdöl (easy oil] den Peak überschritten.« Diese Einschätzung wurde schließlich auch von der IEA im »World Energy Outlook 2010« bestätigt. Der Shell-CEO betonte je doch: »Aber es gibt noch andere Reserven die noch weit weg von ihrem Peak sind. Beim unkonventionellen Erdöl und Erdgas - Ressourcen, die schwieriger zu erschlie Ben sind - gibt es noch große Reserven.<<
Die Unterscheidung von konventionellem und unkonventionellem Erdöl ist heute sehr wichtig. Gemeinsam ist beiden, dass man aus ihnen Benzin, Diesel und Heizöl herstellen kann. Doch der Aufwand, die Kosten und die Geschwindigkeit der Verarbeitung unterscheiden sich beim konventionellen und unkonventionellen Erdöl wie Tag und Nacht. Das konventionelle Erdöl ist flüssig und steht im Reservoir unter Druck. Sobald das Feld angebohrt wird, fließt es ohne große Kosten sehr schnell aus dem Bohrloch, ähnlich wie Coca-Cola aus einer Dose spritzt, wenn man sie zuerst schüttelt und dann öffnet. Da das konventionelle Erdöl kostengünstig und schnell zu fördern ist, hat es die Erdölgeschichte dominiert und deckt auch heute noch mehr als 80 Prozent des Erdölangebotes. Immer wenn bisher in diesem Buch von »Erdöl«< die Rede war, habe ich damit »konventionelles Erdöl« gemeint.
Das unkonventionelle Erdöl hingegen, das in verschiedenen Arten vorkommt, ist teuer, langsam und aufwendig in der Förderung. Eine weltweit akzeptierte De finition der Trennlinie zwischen konventionellem und unkonventionellem Erdöl gibt es nicht. Zum unkonventionellen Erdöl gehört das Öl aus großen Meerestie fen (tiefer als 500 Meter unter dem Wasserspiegel). Dieses Erdöl ist zwar flüssig, aber technisch sehr schwierig zu erschließen. Auch das Polaröl aus der Arktis zählt zum unkonventionellen Erdöl, es ist flüssiges Erdöl, die Förderung ist aber kom
pliziert und in der Antarktis aus Naturschutzgründen verboten. Auch der Teersand, wie er zum Beispiel in der kanadischen Provinz Alberta abgebaut wird, zählt zum unkonventionellen Erdöl. Teersand ist nicht flüssig, er muss abgebaggert werden. Auch Schweröl, wie es im Orinoco-Becken Venezuelas vorkommt, zählt zum un konventionellen Erdöl. Ebenso Tight Oil, wie es in der Bakken-Formation in North Dakota, Montana und Mantioba abgebaut wird. Doch auch Tight Oil ist nicht flüssig.
Unkonventionelles Erdöl braucht bei der Förderung selber viel Energie, weil man zum Beispiel mit heißem Wasserdampf arbeiten muss, um es aus dem Speicher gestein zu lösen. Weil bei dieser Förderung erheblich mehr Energie aufgewendet werden muss als beim konventionellen Erdöl, verschlechtert sich das Verhältnis Energieaufwand zu Energieertrag (Energy Return on Investment, EROI). Sobald mehr als das energetische Äquivalent eines Fasses Erdöl aufgewendet werden müsste, um ein Fass zu gewinnen, würde die Förderung mehr Energie vernichten als zu ge winnen wäre, und sie würde daher eingestellt. Gemäß Jeremy Boak, Professor an der Colorado School of Mines, liegt der EROI beim Easy Oil bei 1:100, so dass man nur ein Fass Öl aufwenden muss, um 100 Fass Öl zu gewinnen, ein sehr attraktives Ver hältnis, bei dem 99 Fass übrig bleiben. Doch bereits bei alten konventionellen Fel dern, bei denen man mit sekundären und tertiären Fördermethoden (enhanced oil recovery) versucht, den Entölungsgrad zu erhöhen, fällt das Verhältnis auf 1:20 oder gar 1:10, ein deutlich schlechteres Verhältnis. Beim unkonventionellen Ölschiefer liegt das Verhältnis sogar bei 1:5 oder gar 1:2. Dass man nun trotzdem dieses unkon ventionelle Erdöl angehe, zeige, wie nahe am Knochen wir schon sind, glaubt Je remy Boak.2
Weil wir als Menschheit im Rahmen des Erdölrausches in eine sehr starke Abhän gigkeit vom Erdöl geraten sind und das konventionelle Erdöl nun den Peak Oil er reicht hat, versuchen private und staatliche Erdölkonzerne derzeit mit unkonventio nellem Erdöl die Lücke zu füllen. Dies ist möglich - aber nur für eine beschränkte Zeit. Dereinst wird das konventionelle Erdöl schneller wegbrechen, als das unkon ventionelle Erdöl die Lücken füllen kann. Letzteres erlaubt uns aus historischer Sicht nur, den Peak auf der Zeitachse etwas nach hinten zu verschieben - wir kaufen Zeit. Aber die Kosten für die Wirtschaft und die Natur sind hoch, denn der Abbau von unkonventionellem Erdöl belastet die Umwelt und benötigt einen hohen Erdölpreis, der die Wirtschaft schmerzt und auch Rezessionen auslösen kann.
Biotreibstoffe
stoffen den Regenwald bedroht und die Nahrungsmittelproduktion konkurrenziert. stehen Biotreibstoffe in der Kritik. Wenn Nahrungsmittel verwendet werden, um Biotreibstoffe zu gewinnen, ist das ein Verbrechen an den Hungernden der Welt, protestierte 2008 der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung der UNO.2 Wenn mit pflanzlichen Rohstoffen das knapper werdende Erdöl ersetzt wird, ist dies tatsächlich eine Katastrophe für die ärmsten Menschen der Welt, weil diese die hohen Rohstoffpreise nicht bezahlen könnten. Um 100 Liter Bioethanol zu erzeugen, benötigt man 240 Kilogramm Mais, was dem jährlichen Bedarf eines Erwachsenen entspricht, rechnete die Presse vor: »Ein Jahr lang essen oder einmal volltanken«, dies seien die Alternativen.24
Ungeachtet dieser Probleme wollen die USA mit gentechnisch verändertem Mais die Abhängigkeit von Erdölimporten reduzieren; mehr als 25 Prozent der amerikani schen Maisernte fließt derzeit in die Produktion von Bioethanol. Weil für die Dün gemittel und Pestizide wie auch für die Erntemaschinen und Lastwagen fossile Treib stoffe aufgewendet werden müssen und auch die Destillation Strom braucht, ist die Produktion von Alkohol aus Mais in den USA sehr ineffizient.
Zudem wollen die USA Biotreibstoffe der zweiten Generation anbauen. Zu die sen zählen unter anderem Gräser, schnell wachsende Hölzer und biogene Abfalle Auch die EU will den Anteil von Biotreibstoffen am Gesamtverbrauch bis 2020 auf 10 Prozent steigern. Doch sowohl die USA wie die EU erkennen derzeit auch die Nachteile und Grenzen der Biomasse: Sie hat eine viel geringere Energiedichte als Erdöl, der Energiegehalt pro Volumen ist geringer, und die benötigten Anbauflächen und Wassermengen sind enorm.
Die Erdölindustrie investiert schon heute in Biotreibstoffe. Der brasilianische Zucker- und Ethanolkonzern Cosan, der weltweit größte Zuckerkonzern, fusionierte 2010 mit dem größten europäischen Erdölkonzern Shell und ist heute der größte Produzent von Biotreibstoffen. Shell und Cosan kontrollieren in Brasilien die ge samte Wertschöpfungskette von der Zuckerrohrplantage bis zu den eigenen Tankstel len. In Brasilien sind die meisten Fahrzeuge mit Flex-Fuel-Technik ausgerüstet: Bra silianer können Benzin oder Alkohol aus Zuckerrohr in beliebigen Mischverhältnissen tanken, je nachdem, welcher Treibstoff gerade billiger ist. Cosan kann das Zucker rohr entweder zu Zucker für die Nahrungsmittelindustrie verarbeiten oder zu Etha nol für den Treibstoffmarkt. Shell plant, Ethanol aus Brasilien zu exportieren und in den Ländern anzubieten, die Beimischungen von Ethanol zum Benzin vorschreiben. Es ist absehbar, dass Ethanol in Brasilien knapp werden wird, weil immer mehr davon in den lukrativen Export gelangt. 2011 konnte sich Brasilien erstmals nicht mehr
selber mit genügend Ethanol versorgen und musste Alkohol aus den USA importie ren. Die USA sind heute vor Brasilien der größte Produzent und Exporteur von Ethanol.
Gaskondensate
Darf man Gaskondensate zum Erdöl zählen?
Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris gibt an, dass noch 1980 die Produk tion von Gaskondensaten (Natural Gas Liquids. NGL) unter 4 Millionen Fass pro Tag lag. Seither ist die Produktion stark angestiegen und lag 2010 bei 11 Millionen Fass pro Tag. Das ist eine große Menge, die der gesamten Erdölförderung von Saudi Arabien entspricht. Die IEA glaubt, dass bis 2020 die Produktion von Gaskondensa ten auf über 15 Millionen Fass pro Tag ansteigen und 2035 den Wert von 18 Millionen Fass pro Tag erreichen wird.23
Gaskondensate werden daher gemäß der IEA eine ganz entscheidende Rolle in der Energieversorgung der Welt spielen, weit wichtiger als Ölsand und Ölschiefer. Aber es muss festgehalten werden, dass Gaskondensate kein Rohöl sind. Gaskonden sate sind schwere Bestandteile des Erdgases, die bei verringertem Druck und tieferer Umgebungstemperatur an der Oberfläche aus dem Erdgas kondensieren und flüssig werden. Je stärker die globale Erdgasförderung ausgeweitet wird, umso mehr Gas kondensate fallen an. Weil davon ausgegangen werden kann, dass die globale Erdgas förderung ansteigen wird, ist es durchaus realistisch, dass auch die Menge an Gaskon densaten zunehmen wird.
Eine gefährliche Verwirrung entsteht erst dann, wenn die Gaskondensate in den Statistiken nicht separat ausgewiesen, sondern mit dem Rohöl vermischt werden. So weist die jährlich publizierte »BP Statistical Review of World Energy« beim Erdöl unter »Produktion« für das Jahr 2010 die Zahl 82 Millionen Fass pro Tag aus, doch neben Rohöl werden auch Gaskondensate und Ölsand eingerechnet. Die Vermi schung ist unglücklich. Denn wenn das Rohöl stagniert oder gar zurückgeht, wäh rend der Anteil der Gaskondensate zunimmt, ist dies in der BP-Statistik nicht zu erkennen, weil die Summe stabil bleibt, wenn der Rückgang beim Rohöl dem Zu wachs bei den Gaskondensaten entspricht.
Eine weitere Unschärfe entsteht, weil Gaskondensate weniger Energie enthalten als Rohöl. Der schwedische Physikprofessor Kjell Aleklett von der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) hat berechnet, dass ein Fass Gaskondensat deut lich weniger Energie enthält als ein Fass Erdöl. »Tatsächlich ist es so, dass ein Fass NGL nur so viel Energie enthält wie 0,7 Fass Erdöl.«< Wenn die Prognosen der IEA
Öl Rückführung
Die Erdölkonzerne wissen, das Erdgas schon heute eine wichtige
lust von über 2 Milliarden Franken ausweisen, und die Handelsbilanz Japans rus
wandeln sich zu Erdgaskonzernen. Um den Erdgashandel unabhängig vom bestehen den Erdgaspipelinenetz zu betreiben, wird Erdgas heruntergekühlt und in verflüssig ter Form (Liquified Natural Gas, LNG) mit Tankern dorthin transportiert, wo d Preise am höchsten sind. An Europas Küsten ist in den letzten Jahren eine Vielzahi von LNG-Terminals entstanden. Weil Erdöl teuer ist, gewinnt Erdgas an Attraktiv tät. Europas größter Energiekonzern Shell hat Mühe, den Rückgang des konventio nellen Erdöls durch Neufunde zu kompensieren und wandelt sich daher derzeit zu einem Erdgaskonzern. Shell hat 2011 erstmals in der Firmengeschichte mehr Erdgas als Erdöl verkauft. Um den Handel mit Flüssiggas voranzutreiben, hat Shell in Oman. Katar, Brunei, Malaysia, Australien, Algerien, Russland und Nigeria Erdgasverflüss gungsanlagen gebaut. Shell investiert in Katar auch in die Herstellung von Diesel. Kerosin und Schmiermitteln aus Gas (Gas to Liquids, GTL). Einfach ist die Gasför derung trotzdem nicht. »Wir müssen immer tiefer bohren und Gas aus immer schwie rigeren Felsformationen holen«<, klagte Shell-CEO Peter Voser im Sommer 2010. Um zu verschleiern, dass die Förderung von konventionellem Erdöl zurückgeht, Rolle spielt, und
vermischen Energiekonzerne seit einigen Jahren die Förderzahlen von Erdgas und
Erdöl und sprechen von >>Öläquivalent«<. Die Erdöl- und Erdgasförderung werden in
verschiedenen Statistiken der Erdöl- und Erdgaskonzerne nicht mehr separat, so
dern als Summe für die Aktionäre ausgewiesen. Der Erdgasrausch verdeckt dadurch
den Einbruch beim Erdöl. »Viele haben damit begonnen, ihre Erdgasproduktion m